Rezension von Jörg Kijanski
Goslar, 1499. Als ein Minenstollen einstürzt und zahlreiche Arbeiter zu Tode kommen, wird die Wasserträgerin Gerlinde als Hexe beschuldigt und für den Einsturz verantwortlich gemacht. Doch da sich mit Schadenszauberei niemand auskennt, wird sie zunächst in den Hexenturm gesperrt.
„Wehe den Katharern, den Irrgläubigen, den Häretikern, die vom Glauben an die heilige Mutter Kirche abgefallen sind! Nein, ich werde keine Gnade kennen! Denn das ist Ketzerei. Und Ketzerei wird mit dem Tode durch die Flammen geahndet.“
Wenige Monate später. Aus dem verfeindeten Braunschweig drangen bereits Gerüchte nach Goslar. Von Hexenprozessen, peinlichen Befragungen und brennenden Scheiterhaufen war die Rede. Für den Buchdruckermeister Wilhelm Wehrstett kommen düstere Gedanken auf, denn seine Schwester brannte einst als angebliche Hexe. Doch dann steht eines Tages der große Hexendoktor Henricus Institoris persönlich in seinem Geschäft, denn das von ihm geschriebene Buch Malleus Maleficarum ist restlos vergriffen und muss dringend nachgedruckt werden. Zunächst weigert sich Wehrstett den berüchtigten „Hexenhammer“ zu drucken, doch da nur kurz nach der Ankunft von Institoris überraschend viele Hinrichtungen stattfinden, schließlich müssen die Kerkerzellen für die demnächst anzuklagenden Hexen zur Verfügung stehen, nimmt Wehrstett den Auftrag an. Er hofft, seine Frau Elsbeth damit vor etwaigen Verdächtigungen schützen zu können. Zumal nach einer Predigt des Dominikanermönches Institoris die ersten Beschuldigungen nicht lange auf sich warten lassen. Nicht wenige Menschen fürchten, dass Satan den Kampf gewinnt und zur bevorstehenden Jahrhundertwende gar der Untergang der Welt droht. Und das Hexen verurteilt werden ist sicher. Geständnisse gibt es immer – durch brutale Folter …
Uwe Grießmann legt mit Die Tränen der Hexen seinen Debütroman vor und dieser ist, um es gleich vorwegzunehmen, durchaus lesenswert, sofern man sich für die Hexenprozesse interessiert und zudem einen gesunden Magen hat. Während Meister Wehrstett noch überlegt, wie er seine geliebte Frau vor möglichen Beschuldigungen schützen kann, finden bereits die ersten Verhaftungen und peinlichen Befragungen statt. Da jeder, der die Existenz von Hexen leugnet, selber als Ketzer angeklagt wird, gelingt es Institoris von Beginn an, aufkommende Widerstände gegen seine umstrittenen Methoden im Keim zu ersticken.
Henricus Institoris, eigentlich nur Heinrich Kramer, ist (nicht nur) als Verfasser des „Hexenhammers“ in die Geschichte eingegangen. Zur Jahrhundertwende (1500), in der die vorliegende Geschichte spielt, ist er bereits seit rund siebzehn Jahren im In- und Ausland aktiv. Nicht selten wird er jedoch aufgrund seiner zweifelhaften und zudem äußerst grausamen Verhör-, besser gesagt Foltermethoden aus den Städten gejagt, die ihn zuvor um Hilfe gebeten haben.
„Der Scharfrichter legte die Schneide kurz an das Handgelenk seines Opfers an, hob die Axt weit bis über den Kopf und ließ sie hinuntersausen. Der Verurteilte jaulte auf, starrte entsetzt auf die abgetrennte Hand. Blut sickerte aus dem Stumpf, erst wenig, dann immer mehr, schließlich presste der Henker ein glühendes Eisen auf die Wunde. Der Kopf des Vogelfreien schwoll knallrot an, Schweiß brach aus seinen Poren hervor, und er konnte ob des Knebels kaum mehr atmen. Mit hervorquellenden Augen starrte er auf den Armstumpf, der zischte und dampfte, aber nun nicht mehr blutete.“
Zehntausende Menschen fielen der Hexenverfolgung alleine in Deutschland zum Opfer. Die Mechanismen der perfiden Arbeit der Hexenkommissare schildert der Autor sehr detailverliebt. Vielleicht auch ein bisschen zu detailverliebt, denn die unmenschlichen Foltermethoden schlagen nicht nur zart besaiteten Lesern auf den Magen. Die bekannte „Wasserprobe“, ein „Gottesurteil“, sei nur beispielhaft für den ganzen Irrsinn erwähnt. Hierbei wird eine der Hexerei beschuldigte Frau gefesselt ins Wasser geworfen. Ertrinkt sie und stirbt, beweist dies ihre Unschuld, andernfalls gilt sie als Hexe überführt. Dabei gibt es noch weitaus grausamerer Methoden, die der Autor in aller Ausführlichkeit dem Leser vor Augen führt. Ob dies so sein muss, mag man für sich entscheiden, viel erschütternder dürfte der Fakt sein, dass die Realität vermutlich noch schlimmer war.
Insgesamt bietet Die Tränen der Hexen einen guten Überblick über die Methoden zur Hexenverfolgung durch das hohe Blutgericht Goslars sowie das Versagen der politisch Verantwortlichen; beim Bürgermeister angefangen. Allerdings stellt sich bei dem vorliegenden Buch die entscheidende Frage, ob man dieses wirklich lesen muss, denn Romane zu diesem Thema gibt es ja schon einige? Sagen wir so: Wer schon einen guten Roman über die Zeit der Hexenverfolgung gelesen hat, wird hier, von den detaillierten Folterszenen abgesehen, kaum Neues erfahren. Umgekehrt gilt aber auch: Wer sich erstmals mit dem Thema auseinander setzen möchte, findet hier einen lesenswerten (und schmerzvollen) Einstieg. Für ein Debüt mehr als respektabel.